Cannabis Legalisierung und der neue § 13 a FeV:
Fahrerlaubnis Entziehung / MPU aufheben - Führerschein Amnestie.
Cannabis Legalisierung und § 13 a FeV:
Auswirkungen auf aktuelle und beendete MPU Verfahren.
Veröffentlichung von Rechtsanwalt Björn Schüller 10.04.24
Der Streit um den richtigen THC-Grenzwert.
Mit bis zu 0,5 Promille Alkohol im Blut kann man Auto fahren. Das ist klar definiert. Derzeit ist eine Menge 1,0 ng THC/ml im Blut erlaubt. Der Grenzwert ist umstritten, da Alkohol und Cannabis sehr unterschiedlich wirken. Eigentlich ist dafür die Grenzwertkommission (GWK) zuständig. Es gibt jedoch unterschiedliche Ansichten, einige Wissenschaftler schlagen eine Erhöhung vor, andere dagegen. Cannabis ist nun legalisiert, und eine neue Expertenrunde hat jetzt einen Wert von 3,5 ng THC vorgeschlagen, dieser Wert muss noch vom Gesetzgeber bestätigt werden.
Die Grenzwertkommission (GWK) besteht aus Rechts- und Verkehrsmedizinern sowie Toxikologen und Forensiker. Später kamen Vertreter des Bundesstraßenamtes und der Bundesministerien für Verkehr und Justiz hinzu.
Cannabis am Steuer - das gilt aktuell.
2002 legte die GWK den THC-Grenzwert auf 1,0 ng/ml Blutserum für eine Ordnungswidrigkeit fest. Das wurde vom Bundesverfassungsgericht 2004 in einem Urteil bestätigt, ist aber nicht gesetzlich festgeschrieben. Die Grenzwertkommission sollte eigentlich den Paragraf 24a Abs. 2 im Straßenverkehrsgesetz um Cannabis erweitern. Ähnlich dem Alkoholgrenzwert von 0,5-Promille im Blut soll künftig auch für Straßenverkehrsteilnehmer nach dem Kiffen ein amtlicher THC-Grenzwert gelten.
Mitglieder im Bundesverkehrsausschuss drängen auf eine THC-Grenzwerterhöhung. Es sei unverhältnismäßig, wenn jemand bei einer Verkehrskontrolle mit 1 ng erwischt werde und es dann mindestens 500 Euro Bußgeld, einen Monat Fahrverbot, zwei Punkte in Flensburg und oft auch eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) gebe. Auch der Verkehrsgerichtstag und der Deutsche Anwaltverein kritisieren, Betroffene würden derzeit "in einem nicht vertretbaren Umfang" sanktioniert. Die Bundesanstalt für Straßenwesen verweist auf neuere Studien, die unter zwei Nanogramm kaum Fahrbeeinträchtigungen sehen und erst bei 3,8 Nanogramm ähnliche Einschränkungen wie bei 0,5 Promille Alkohol.
Experten uneins zur Erhöhung des THC-Grenzwert.
Die GWK 2022 änderte ihre Position aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Aufgrund der unklaren Datenlage ist es unmöglich, einen allgemeinen THC-Grenzwert mit vertretbarer wissenschaftlicher Begründung festzulegen.
Stefan Tönnes, Direktor des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, sagte MDR AKTUELL, sie und weitere Kommissionsmitglieder hätten eine Erhöhung des Grenzwerts auf mindestens 3,5 ng/ml Blutserum vorgeschlagen. Im öffentlichen Diskurs wurde der Kompromiss 3,0 ng diskutiert. Andere Experten sprachen sich gegen eine Erhöhung aus.
Frank Mußhoff, Mitglied des Forensischen Toxikologischen Zentrums München, sagte, er könne sich mit einem 1-Nanogramm-Grenzwert abfinden. Der Vizepräsident der Gesellschaft für Verkehrsmedizin erläutert dies mit beträchtlichen Unterschieden in der Wirkung von THC. Ein gelegentlicher Konsument sei nach dem Kiffen für etwa sechs Stunden nicht so leistungsfähig. In diesem Zeitraum hätte er etwa eine ng THC pro ml im Blut gehabt. Bei gewohnheitsmäßigen Kiffern ist das THC langsamer abbaut. Sie könnten auch am nächsten Tag über dem Grenzwert liegen, obwohl sie längst wieder verkehrstüchtig sind.
Also stellt sich die Frage: Ist der Grenzwert für Gelegenheits- oder Dauerkiffer angemessen? Auch Dieter Müller, Professor für Straßenverkehrsrecht an der Hochschule der Sächsischen Polizei, befürwortet die 1-ng-Grenze. Er verweist auf Studien, nach denen das Risiko bei drei Nanogramm deutlich steigt. Die Studienlage ist heterogen und insbesondere für Gelegenheitsnutzer relativ dünn.
Grenzwerte für Ordnungswidrigkeit und Straftat.
Hauptproblem für einen festen THC-Grenzwert ist die individuell stark unterschiedliche Wirkung von Tetrahydrocannabinol (THC). Schon bei geringen Konzentrationen sind bei gelegentlichen Konsumenten verkehrsrelevante Auffälligkeiten nicht auszuschließen. Jedoch nähmen diese Auffälligkeiten bei polizeilichen Fällen mit THC-Konzentrationen im Gegensatz zu Alkoholfällen nicht in vergleichbarem Maße zu. Das mache es nahezu unmöglich, einen Grenzwert für die absolute Fahrunsicherheit als Straftatbestand zu finden – analog zu den 1,1 Promille beim Alkohol.
Es geht in der aktuellen Debatte aber nicht um eine strafbare THC-Grenze, sondern um einen Grenzwert für Ordnungswidrigkeitstatbestand, wenn Auffälligkeiten noch nicht als Straftatbestand ausreichend erscheinen. Es gehe um die Gefahrenabwehr im Straßenverkehr, auch bei gelegentlichem Konsum.
THC wirkt je nach Konsumgewohnheiten individuell sehr unterschiedlich.
Ein Problem ist, dass es beim gelegentlichen Kiffen laut Studien schon gut eine Stunde nach dem Konsum zu einer Halbierung der THC-Konzentration kommen kann. Anders als beim Alkohol ist keine wissenschaftlich fundierte Rückrechnung möglich. Außerdem wirkt THC bei seltenem Konsum stärker.
Andererseits haben chronische Cannabis-Konsumenten quasi einen Dauer-THC-Pegel im Blut, der sich auch nach einigen Tagen nur langsam abbaut, selbst wenn in dieser Zeit nicht konsumiert wird und keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mehr besteht. Sie vertragen auch mehr THC, die Beeinträchtigungen sind bei normalem Konsum im Schnitt geringer. Dazu kommen noch Wirkunterschiede abhängig von der Art des Konsums (Rauchen oder Essen/Trinken). Bei oraler Einnahme setzt die THC-Wirkung in der Regel später ein.
Die Grenzwertkommission verweist auf andere Wirkungsunterschiede zwischen THC und Alkohol. So belegten Untersuchungen, dass Cannabis-Konsumenten ihren Konsum besser regulieren können, weil es beim Joint eine schnellere Rückmeldung der Rauschwirkung gebe. Da eine Überdosierung für Konsumenten unangenehm sei, hörten sie eher auf und es komme im Unterschied zu Alkohol auch selten zur Vergiftung. Außerdem wirke Alkohol stärker enthemmend als Cannabis und verleite eher zu Selbstüberschätzung.
Problem der Wechselwirkung von THC und Alkohol.
In der Praxis trinken viele Cannabis Konsumenten parallel Alkohol. Die Kombination wird in vielen Studien als fatal dargestellt, das heißt mit einer Wirkungsverstärkung. Deshalb wird beim Mischkonsum eine Berücksichtigung der Wechselwirkungen vorgeschlagen. Das gelte ebenso für andere zentral wirksame Mittel. Eine Anpassung sei nicht nur bei den Grenzwerten nötig, sondern auch bei der Überprüfung der Fahreignung durch Verkehrsbehörden.
Doch es gibt noch zu wenig Daten zur Gefährlichkeit der Wechselwirkung, um repräsentierende Kombi-Grenzwerte abzuleiten. Die einfachste Regelung wäre, für Cannabiskonsumenten eine Alkohol-Nulltoleranz zu fordern – wie es auch für Fahranfänger gilt.
Was gilt für medizinisches Cannabis?
Der Konsum von medizinischem Cannabis ist in Deutschland seit 2017 erlaubt und dabei gilt das sogenannte Medikamentenprivileg. Ein Patient kann nicht für eine Ordnungswidrigkeit herangezogen werden, solange er bestimmungsgemäß sein Cannabis einnimmt. Ist er aber auffällig und es gibt Leistungsdefizite, so kann ein Straftatbestand festgestellt werden. Das gilt ebenso bei anderen Medikamenten. Zur Einordnung: 2021 wurden bundesweit 372.000 Rezepte für Cannabis-Arzneimittel ausgestellt.
THC-Grenzwerte für Autofahrer im Ausland.
Die Informationen im Internet über THC-Grenzwerte international sind widersprüchlich. Es wird teils nicht unterschieden zwischen höheren Grenzwerten im Blutserum/Urin zu entsprechenden, aber niedrigeren Werten im Vollblut. Hier einige ausgewählte Grenzwerte im Blutserum (wie in Deutschland) bzw. Urin auf Basis von Angaben des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Basel vom Dezember 2020:
- Portugal: 6,0 ng
- Niederlande: 5,0 ng
- Polen, Großbritannien, Tschechien: 4,0 ng
- Schweiz: 3,0 ng
- Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Finnland: 2,0 ng
- Belgien: 1,0 ng
- Österreich, Italien, Ost- und Südosteuropa: nicht definiert, praktisch gilt dann meist die 0,2-EU-Richtlinie
- Kanada: Anfänger 2 ng/Blut, erfahrene Fahrer 5 ng/Blut
- einige US-Bundesstaaten: 10 ng